Ein Mann, ein Park

Lutz Storm
Voigt & Kranz UG

von Urlaubsmagazin 2025

Die Ostsee hat Lutz Storm immer im Blick: Morgens und abends sieht er das Meer von seinem Fenster aus – und tagsüber kommt er oft an den Strand. Meist ist der Ranger dann mit Besuchern des Nationalparks Vorpommersche Boddenlandschaft unterwegs.

 

Gut 33 Jahre arbeitet Storm nun schon hier. In den allerletzten Tagen der DDR war beschlossen worden, Nationalparke auszuweisen. Der Mann aus Ahrenshoop merkte bald, dass sein Lebensweg in genau diese Richtung gehen sollte. „Ich hatte das Gefühl, dort mitmachen zu wollen. Es war eine Berufung, die damals begann.“

Mareike Timm, NPA

Lutz Storm ist der dienstälteste Ranger im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft: seit 1991 ist er in der einmaligen Natur unterwergs.

Lernen als Teil des Jobs

Als er anfing, hieß sein Beruf noch Nationalparkwächter. Er baute Stege durch die Kernzone, hielt Wanderwege instand und führte Besucher durch die intakte Natur. Aber eine der wichtigsten Aufgaben, meint der 62-Jährige, war immer das Lernen. Bis heute stehen in seinem Haus wändeweise Sachbücher in den Regalen. Darin geht es unter anderem um Geologie und Biologie, um Wald- und Wetterkunde. Außerdem lernte er damals viel von seinen Praktikanten, die oft aus diesen Fachbereichen kamen und mehr wussten als er.

Aber ein wesentlicher Teil des Wissens stammt aus der Natur selbst - Storm nennt ein Beispiel: „Im November 1995 gab es ein Hochwasser von knapp zwei Metern über normal am Darßer Ort – danach sah in der Landschaft einiges anders aus.“ Darauf sei er nicht vorbereitet gewesen. „Aber man muss wissen, wo und wie hoch das Wasser stehen könnte. Also habe ich gelernt, das Meer zu beobachten und damit zu arbeiten: Woher kommt der Wind? Wo schieben die Wellen den Sand entlang? Wo wird er wieder abgelagert? Und wie entwickelt sich die Düne danach?“

Wildnis statt Schlosspark

All dieses Wissen kann Storm in seiner täglichen Arbeit nutzen und an die Besucher weitergeben. Es werden immer mehr, aber viele haben Angst vor den aktuellen Veränderungen der Natur. „Sie glauben, wenn man sich nicht um den Wald kümmert, geht er zugrunde. Dann nenne ich als Beispiel die Ivenacker Eichen, die 800 oder 900 Jahre alt sind. Sie kommen also aus dem Mittelalter und haben sowohl Kalt- als auch Warmzeiten erlebt – und stehen immer noch da.“ Insgesamt hat der Wald etwa 300 Millionen Jahre Erfahrung in der Evolution.

Der Ranger erklärt den Besuchern auch, dass es bestimmte Bereiche gibt, in denen das Holz auf keinen Fall geerntet wird, und sei es noch so gewinnversprechend. „Ja, wir brauchen den zum Wohle des Menschen gestalteten Wald, denn wir brauchen das Holz. Aber wir brauchen auch Wildnis und Biodiversität.“ Denn Bäume haben Erbgut, dessen Struktur sich in der Evolution anpasst. „Wenn eine Kiefer 600 Jahre steht, erlebt sie verschiedene Klimaphasen und lernt, damit umzugehen. Diese Erfahrung kann sie an ihre Nachfahren weitergeben.“ Und im Nationalpark dürfen die Bäume eben alt werden.

„Auch in der Wildnis gibt es eine Ordnung, aber das ist nicht unsere. Aber sie ist genauso wichtig.“

Der Ranger weiß: Generell fühlen sich Menschen in gestalteten Parks, also etwa rund um Schlösser, wohl, weil darin eine vertraute Ordnung liegt. „Auch in der Wildnis gibt es eine Ordnung, aber das ist nicht unsere. Aber sie ist genauso wichtig.“

 

Während in der Nationalpark-Zone 2 das Sammeln von Pilzen oder Beeren erlaubt ist, müssen die Wanderer in der Kernzone ausnahmslos auf den Wegen bleiben. „Dort sollen alle Mechanismen der Natur ungestört ablaufen. Und wir können schauen, was sie ohne unser Fußspuren macht.“

 

Gäste, die regelmäßig kommen, sehen diese Entwicklung mit eigenen Augen: Vor 30 Jahren war ein Sandhaken vielleicht gerade im Ansatz zu sehen – jetzt ist er 700 Meter lang.

Behutsam führt Storm seine Gäste an die Natur heran. „Ich gebe ihnen mal ein Buchenblatt zum Kosten oder Wasserminze mit dem natürlichen Geruch von Minze.“ Aber er stellt unmissverständlich klar, dass niemand durch die Dünen oder auf gesperrten Wegen gehen darf. „Ich sage ihnen: Nehmt doch den Park als Geschenk, nicht als Selfie-Platz. Und wenn wir alle die Regeln beachten, bleibt er auch für alle erhalten.“

 

Bei den dreistündigen Führungen bekommt er auch viele Fragen, deren Antworten zum Nachdenken anregen. Einmal ging es zum Beispiel darum, warum die Strände nicht durch Steinwälle geschützt werden, um den Küstenabtrag zu verhindern. „Ich fragte zurück, ob die Leute den Darßer Ort mögen. Den würde es nämlich mit Steinwällen nicht geben.“ Ein anderes Thema ist die Meinung über Wölfe. „Ich habe der Frau gesagt, sie solle sich mal Afrika ohne Elefanten vorstellen.“

Annett Storm

„Ich bin kein Missionar, aber ich
möchte die Leute zum Nachdenken
anregen. Und eins ist klar: Naturschutz
ist Menschenschutz.“

Im Reich der Pflanzen und Tiere

Neben dem Wald spielt die Küste die zweite Hauptrolle. Die Wissenschaft weiß: Innerhalb von 500 Jahren würde Strand zu Wald werden, wenn man ihn ließe. Die ersten Schritte würden vom Spülsaum mit Salzpflanzen über Weiß- und Graudüne bis zur Braundüne führen. Mit dem Wind kämen die Samen verschiedener Pflanzen: Zuerst würden Kiefern wachsen, später würden sich Eberesche und Eiche dazugesellen, vielleicht auch Birke und Zitterpappel. Und ganz am Ende wäre es ein Buchenwald. Nur direkt in der Brandungszone behalten Sand und Wasser die Oberhand.

Über allem schweben zweimal im Jahr Kraniche und andere Zugvögel – zur Freude der Gäste. Zudem leben hier noch viele andere Tierarten. Zum Beispiel gibt es Frösche und Wildschweine, Rehe und Rothirsche. Ob sich diese Tiere den Wanderern zeigen, ist nie sicher. „Ich gebe keine Garantien mehr, welche wir sehen werden“, sagt Storm. „Das wissen wir erst am Ende der Führung.“ Er selbst mag am meisten den Rundwanderweg am Darßer Ort. „Von dort schaut man in völlig unberührte Natur. Auch viele Besucher mögen das besonders. Sie fühlen sich dort geerdet, weil der Mensch überhaupt nicht eingegriffen hat.“

Experte für die eigene Heimat

Storm selbst kennt die Gegend seit seiner Kindheit. Der gelernte Schmied kam 1991 in den Nationalpark und ist bis heute begeistert von seinem Job.

 

„Das Faszinierendste ist die Dynamik“, findet er. „Wer zum Beispiel im Herbst eine Sandbank sieht, wird sie im Frühjahr definitiv in anderer Form vorfinden – falls sie überhaupt noch da ist.“ Er hat viele Veränderungen mit eigenen Augen gesehen, kann authentischer als jeder andere davon berichten.

„Diese Landschaft war schon immer faszinierend“, findet er. „Aber jetzt entwickelt sie sich noch weiter in ihre natürliche Richtung.“

 

An manchen Stellen holt sich das Meer jedes Jahr ein Stück Land, an anderen Stellen wird der Sand wieder abgelagert. So entstehen auch offene Bereiche – wichtig für manche Tiere der Region. „Das können wir Menschen nicht so gestalten, wie die Natur das braucht. Deshalb lassen wir sie es selbst machen.“

„Wer zum Beispiel im Herbst eine
Sandbank sieht, wird sie im Frühjahr
definitiv in anderer Form vorfinden
– falls sie überhaupt noch da ist.“

Lutz Storm

Sturmtief und Gewitterfront

Manchmal beeindruckt die Natur auch den Mann noch, der sie täglich erlebt. „Da war mal ein Wintertag mit blauem Himmel, nur eine kleine Wolke war zu sehen“, erzählt er. „Ich dachte, die macht nichts, aber am Ende lagen 15 Zentimeter Schnee.“ Auch Sturmtiefs sind immer ein Erlebnis: „Bei Windstärke 11 ist der Wind mit 24 Metern pro Sekunde unterwegs. Wir als Ranger fahren dann raus aus dem Wald, aber manche Besucher fahren rein. Wir können sie nur warnen.“ Gleiches gilt für Gewitter.

„Wenn es kommt, wird es draußen unangenehm. Da sollte man als Unkundiger am besten im Haus bleiben, oder wenigstens nicht am Strand oder im Meer, sondern sich im Wald zusammenkauern – an einer Stelle, wo die Bäume nicht kippen können.“ Bei allen Begegnungen mit den Besuchern des Nationalparks sieht er durchaus das Wohl des Menschen. „Ich bin kein Missionar, aber ich möchte die Leute zum Nachdenken anregen. Und eins ist klar: Naturschutz ist Menschenschutz.“

Dieser Artikel stammt aus dem Urlaubsmagazin Fischland-Darß-Zingst 2025.
Text: Dörte Rahming - wortlaut-rostock.de
Fotos: ©Voigt & Kranz UG - ostsee-kuestenbilder.de

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